Ein Brüderpaar müsste man sein. Vier Ohren hören doppelt so intensiv wie zwei. Man gräbt sich doppelt so tief in die Musik hinein. Die Brüder Ali und Basti Schwarz wollten im Stuttgart Anfang der 90er ganz genau wissen, wie sich die neue Clubkultur aus England und den USA von innen anfühlt. Mit Alis Clubs On-U und Red Dog schufen sie sich Performancebühne und Musiklabor in einem. Die Bild-Zeitung würdigte 1991 das On-U: "gammelig, aber total gut". Die Gäste legten sich nackt in den Kühltresen, während Ali und Basti gemeinsam auflegten. Immer der wichtigste Akteur: die Musik. Acid Jazz, Reggae, Funk, aber vor allem die neue elektronische Tanzmusik aus Chicago und New York: House.
House-Helden wie Masters at Work oder Tony Humphries teilten sich mit den Schwarz-Brüdern die DJ-Box. Als Red-Dog-DJ-Team mixten Ali und Basti ihre Lieblingsmusik zu ihrem speziellen Soundtrack durch die Nacht. Aber wie wäre es erst, den importierten 12inches eigene Tracks zur Seite zu stellen, ins Produzenten-Rodeo einzusteigen? Aus dem DJ-Team Red Dog, das mit fremden Stimmen arbeitet, wird das Produzenten-Team Tiefschwarz, das die eigene Stimme erhebt. Aber auch als Produzenten ziehen sie sich nicht in den Elfenbeinturm zurück. Die Isolation in der mönchischen Zelle, in der man beim Musizieren die Außenwelt ausblendet, ist nicht Alis und Bastis Ding. Der DJ, der den Sound der Stunde kennt, und der Produzent, der darauf mit seiner eigenen Vision antwortet, schaukeln sich bei Tiefschwarz gegenseitig hoch. Gleich der erste Track von Tiefschwarz, "Music", wird 1998 begeistert von den Epizentren der House-Musik umarmt. Das New Yorker Label Wave veröffentlicht den Track. Eben noch Fans aus der deutschen Peripherie, sind Ali und Basti plötzlich Akteure der internationalen House-Oberklasse. Eben noch haben sie Masters at Work in ihren Club eingeladen, schon bitten Masters at Work um einen Remix von ihnen.
Das Album "RAL 9005" von 2000 manifestiert ihre Ausnahmestellung: Entgegen dem Trend zum eigenbrötlerischen Bedroom-Produzenten schwingt bei den Tiefschwarz-Brüdern der glitzernde Kollektiv-Geist der Disco-Ära mit. Die Kunst ist heiter, Innovation muss nichts mit Askese zu tun haben. Das wird im Ausland euphorisch aufgenommen. Classic lizensiert "RAL 9005" 2002 und stellt den Tiefschwarz-DJ-Mix "A little help for your friends" daneben. Ali und Basti werden als DJs, Produzenten und Remixer von der Crème de la Crème der Clubkultur um ihre "little help" gebeten. Sie geben weltweit DJ-Sets, zum Beispiel in Londons Fabric, Ibizas Cocoon, Frankfurts Robert Johnson, Berlins Bar 25, Chicagos Spybar. Remixe fragen unter anderen Ultra Naté, Rapture, Kelis, Depeche Mode, Madonna, Roxy Music an. Spektrums "Kinda New" wird durch den maximal plastischen Tiefschwarz-Remix 2004 zum weltweiten Hit.
"RAL 9005" setzt die erste Position in einer Serie von Alben, mit der Tiefschwarz den musikalischen Zeitgeist ausloten. Dem vollmundigen Garagehouse des Erstlings folgt 2005 mit "Eat Books" die offensive Aneignung des Electroclash-Vokabulars (und mit der Single "Isst" ein weiterer Hit). Mit "Chocolate" widmen sie sich 2010 der Neubelebung der House-Musik aus dem Geiste von Minimal und verfeinern sich zu Meistern der subtilenZwischentöne.
Eine Familie müsste man sein. Schon 2006 starten Ali und Basti in Berlin das Label Souvenir. Die Brüder gründen eine Familie. Auf Souvenir veröffentlichen sie in acht Jahren über sechzig Schallplatten – Lieblingsmusik, die sie von Künstlern aus der ganzen Welt zusammentragen. Mit ihrem Projekt Tiefschwarz verstehen sie sich als Gleiche unter Gleichen. Gemeinsam arbeiten, wie man gemeinsam feiert. In den vier Jahren seit "Chocolate" konzentrieren sich Ali und Basti verstärkt auf die Arbeit mit ihren Label-Künstlern. Ali und Basti übernehmen nicht nur die A&R-Aufgaben, sondern sind auch in alle Designprozesse einbezogen. In der Clubkultur steckt eine Kollektiv-Utopie. Mit ihrer Label-Familie stärken Ali und Basti dieses Moment. Aus der Arbeit mit Souvenir entsteht eine Fülle musikalischer Ideen, die zur Umsetzung drängt. Zeit für eine neue Bestandsaufnahme, Zeit für ein neues Album von Tiefschwarz.
Ein Trio müsste man sein. Bei ihren ersten drei Alben gingen Ali und Basti verschiedene Kollaborationen mit Sängern und Co-Produzenten ein. Diesmal wagen sie sich weiter über den Clubmusik-Tellerrand hinaus und erproben sich in neuer Formation. Statt eines Duos plus Gästen arbeiten sie an ihrem vierten Album als Trio: Ali, Basti und Khan. Der Sänger und Musiker Khan und die Tiefschwarz-Brüder haben sich seit den 90ern freundschaftlich im Blick. Während Tiefschwarz innerhalb der Clubgrenzen den Bewegungsspielraum erforschen, lässt sich Khan als notorischer Freistil-Entertainer gar nicht erst auf diese Grenzen ein. Seine Veröffentlichungen der letzten 20 Jahre werden nur von einem zusammengehalten: seinem Charisma. Dieses Charisma bringt Khan als dritte Kraft bei Tiefschwarz ein. Um ihre Wahlverwandtschaft zu erkennen, mussten Ali und Basti allerdings erst mit Khan in Mexico City eine ausufernde Nacht verbringen. Sobald er zurück in Berlin ist, hört sich Khan die neuen Instrumentals von Tiefschwarz an, vereinbarten sie. Khan hörte, sang und siegte. Ali und Basti waren sich sofort einig: Khans Gesang und ihre Instrumentals sind untrennbar, nur sure Shots, eine zweite Aufnahme ist nicht nötig.
Tiefschwarz als Live-Trio, das steht ihnen schlagartig vor Augen. An der Schnittstelle von Electronic-Act und klassischer Band passieren gerade wieder die spannendsten Innovationen mit dem größten Pop-Versprechen. Tiefschwarz greifen mit ihren Aufnahmen zum vierten Album diesen Experimentiergeist auf, bleiben aber dem Clubkontext treu. Neues Album, neue Positionierung. Ali und Basti suchen das Risiko, damit weiterhin gilt, was ein Fan außer Rand und Band zum zehnjährigen Jubiläum 2007 kauderwelschte: Teifshwarz is ficken gut!
Bilder
Links